Die Stockbauern und die Einspännigen

Ein Waldprozess in Nonnweiler von 1815 1830

von Antonius Jost

Zwischen dem Oberlauf der Prims und dem Forstelbach liegt ein geschlossenes Waldgebiet, in dessen Besitz sich die Gemeinden Nonnweiler und Hermeskeil teilen. Ein langer Rechtsstreit um diese Wälder zu Beginn des vorigen Jahrhunderts war ein Ereignis, das sich nicht nur trennend zwischen den beiden Ortschaften stellte, sondern auch die Bewohner von Nonnweiler in zwei feindliche Lager spaltete. Aber ohne diesen Prozess, der über alle Instanzen der Gerichte lief, besäße Nonnweiler keinen Gemeindewald.

Die damaligen Vorgänge, inzwischen längst der Vergessenheit anheimgefallen, fanden nicht nur bei den Gerichten, sondern auch in einer örtlichen Aktensammlung ihren Niederschlag. Diese Sammlung, die lange als verloren galt, wurde vor einigen Jahren wieder aufgefunden und diente als Unterlage für die folgende Schilderung der Streitigkeiten.

Als die Truppen Napoleons das linke Rheinufer räumen mussten, hinterließen sie dort eine sehr veränderte Lage. In den zwanzig Jahren französischer Herrschaft waren die Bauern dieses Gebietes frei geworden. Ab 1.Januar 1798 gab es dort keine Leibeigenschaft mehr. Frei geworden waren auch die ehemaligen Stockbauern von Nonnweiler. Ihre Stockgüter, die sie unter kurtrierischer Lehnsherrschaft nur nutznießerisch besaßen, waren ohne Abgeltung ihr unumschränktes Privateigentum geworden. Die vorher gemeinschaftliche genutzten Wälder und Wildländereien der Gemarkung waren zum Gemeindeeigentum erklärt und als solches verwaltet worden. Nach Abzug der Franzosen behaupteten die ehemaligen Stockbauern jedoch, es habe in Nonnweiler nie Gemeindeeigentum gegeben und beanspruchten diese Wald- und Wildländereien als ihr gemeinsames Eigentum, da sie ein Zubehör ihrer Stockgüter gewesen seien. Allen übrigen Ortsbürgern verweigerten sie deshalb die Nutzung an diesen Ländereien. Die früheren Neben- und Hintersassen, Einspännigen und Beisassen genannt, wurden wieder in die alte Rechtslosigkeit zurückverwiesen, obwohl die französische Herrschaft ihnen Gleichberechtigung als Gemeindebürger gewährt hatte. Die ehemaligen Stockbauern regierten jedoch die Gemeinde allein und ließen den Einspännigen kaum eine Chance, ihr Schicksal zu wenden.

So standen sich die 30 Familien des Ortes in zwei etwa gleichgroßen Lagern feindlich gegenüber. Das Lager der Stockbauern umfasste zunächst 14 Familien. Aus den 12 Stockinhabern, die mit dieser Zahlenangabe noch 1754 erwähnt werden, waren inzwischen 14 geworden. Wie das möglich war, lässt sich nur aus dem in den Prozessakten geschilderten Abhängigkeitsverhältnis der Stockgüter erklären. Ihr unmittelbarer Eigentümer (dominus directus) war zuletzt der Kurfürst von Trier. Die Stockbauern waren die nutznießenden Inhaber (domini utiles) gegen Hergabe von Schaftfrüchten (Erntezehnten), Fronden und sonstigen Handdiensten und des Besthauptes. Der Stockbauer wählte aus seinen Kindern den Erben selbst. Es gab zwei Arten dieser Güter, nämlich Kammeral- und Krämeramtsgüter. Während die ersteren unteilbar, unverkäuflich und unverpfändbar waren, waren Verkauf und Teilung in halbe Güter mit Zustimmung der Herrschaft bei letzteren möglich. Diese Zustimmung der Herrschaft, ursprünglich das Haus Hunolstein als Herr zu Züsch und Sötern und Begründer der Stockgüter — später das kurtrierische Amt Grimburg — wurde wiederholt für den Verkauf oder die Teilung eines Krämeramtsgutes erteilt. So kam es, dass sich bei Aufhebung der Lehnsherrschaft durch die Franzosen 14 Stockbauern in den Besitzstand der zwölf Güter teilten. Bis zu diesem Zeitpunkt bildeten die Stockbesitzer allein die Gemeinde, weil sie niemand ohne Güterbesitz als Gemeindsmann (Gemeindebürger) zugelassen hatten. Unter der französischen Herrschaft waren alle Verkaufserlöse aus Holzeinschlägen in die Gemeindekasse geflossen. Für den eigenen Brennholzbezug hatten alle Bürger die Holztaxe zu entrichten. Auf diese Tatsache pochten die Einspännigen. Die Stockbauern dagegen sahen darin eine Fehlentscheidung der französischen Instanzen und reichten zu Anfang des Jahres 1816 eine Petition an die Landes-Administrations-Kommission in Worms ein mit dem Ziel, einen Schutztitel für ihr Alleinrecht an den Wäldern, Wildländereien und Rodbüschen (Lohhecken) zu erhalten. Die Bittschrift schilderte eingehend den Sachverhalt aus der Sicht der Stockbauern. Beigegebene Urkunden sollten ihr größere Beweiskraft geben. Sie trug folgende Unterschriften: Wilfried Schmitt, doppelt begütert, Wilhelm Dellwing, Peter Lauer als Ortsbürgermeister, Johannes Pisport, Michel Meier, Johannes Haubert, Peter Miller, Johannes Baldauf, Adam Meier, Frantz Geiger, Johannes Meyer, Johann Petry, Niclas Mattes.

Die Administrations-Kommission gab der Bittschrift über die zuständige Kreisdirektion Birkenfeld zum gutachtlichen Bericht an den Bürgermeister Gottbill in Mariahütte. Der Ort Nonnweiler gehörte seit 1. Juli 1815 zu dessen Bürgermeisterei Otzenhausen. Gottbill vertrat in seinem Bericht die Rechtsauffassung der Stockbauern. Inzwischen hatten auch die Einspännigen eine Bittschrift verfasst und mit Beweisstücken versehen nach Worms abgesandt. Bürgermeister Gottbill wurde darin der Parteinahme für die Stockbesitzer bezichtigt, weil er angeblich von diesen billigeres Verkohlungsholz kaufen könne. Gleichzeitig wurde um Ernennung eines neutralen Gutachters gebeten. Dieses Gesuch trug folgende Unterschriften, Severinus Alles, Jakob Alles, Johann Schrammer, Mates Stein, Mathias Blasius, Peter Daniel, Michel Stein, Johann Meyer, Friedrich Scheuer, Johann Welker und Johann Bartel — Auch diese Bittschrift landete über den Instanzenweg auf Bürgermeister Gottbills Arbeitstisch. Wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe kam es in seinem Arbeitszimmer in Mariahütte zu einem erregten Auftritt von Michel Stein, dem Wortführer der Einspännigen und zu einem gerichtlichen Nachspiel beim Friedensgericht in Birkenfeld.

Die Landes-Administrations-Kommission ließ den Streitfall durch den Kreisforstmeister in Birkenfeld zwar zugunsten der Gemeinde entscheiden, indem er die strittigen Ländereien als Gemeindeeigentum bestätigte, die Verteilung des Ertrages und die Nutzung aber in die Zuständigkeit der Justiz verwies. Als im Herbst 1816 die preußische Regierung in Trier ihre Tätigkeit aufnahm, wurden auch die Akten des Streitfalles an sie abgetreten. Die Entscheidung des Forstamtes Birkenfeld wurde von den Stockbauern heftig angefochten und die Entrichtung der Holztaxen unter Hinweis auf das alte Recht abgelehnt. Nach weiteren Ermittlungen enthielt sich die Regierung jeder Entscheidung, übergab den Fall der Justiz und ermächtigte die Gemeinde Nonnweiler, vor Gericht zu erscheinen. Das Gemeindeoberhaupt, der Schöffe oder Ortsbürgermeister, war ehemaliger Stockbesitzer. Er hätte daher die Gemeinde gegen seine eigenen privaten Interessen vertreten müssen. Die Einspännigen erreichten daher, dass ihr Parteigänger Michel Stein zum 2. Schöffen ernannt und zur Vertretung der Gemeinde im bevorstehenden Rechtsstreit bevollmächtigt wurde.

So standen die Dinge im Frühjahr 1820, als der Streit eine neue Wendung nahm. In den Waldungen der Distrikte Hoxel, Noswäldchen, Ehrenwald und Hascheid, die seit je von der Gemeinde Hermeskeil mit den Stockbesitzern zu Nonnweiler gemeinsam genutzt worden waren, war ein größerer Holzeinschlag vorgenommen worden. Die Gemeinde Hermeskeil hatte während der französischen Verwaltung durch Gutachten des Staatsrates erreicht, dass die Aufteilung der Erträge aus diesen Waldungen nicht mehr je zur Hälfte, sondern nach der Zahl der Feuerherde (Haushaltungen) auf die Gemeinde Hermeskeil und Nonnweiler zu erfolgen habe. Bürgermeister Beck in Hermeskeil schlug daher eine Teilung im Verhältnis 130:30 zugunsten der Gemeindekassen vor. Die Gemeinde Nonnweiler berief sich jedoch auf das alte Teilungsverhältnis. Gleichzeitig bestritten die Stockbauern der Gemeinde das Recht auf die Holzerträge und forderten nach dem alten Teilungsmodus die Hälfte des Erlöses für sich. Damit war nun auch die Gemeinde Hermeskeil in den anlaufenden Waldprozess hineingezogen. Die Regierung in Trier gab auch ihr den Rechtsweg frei. Es begann nun ein Doppelprozess, in dem die Gemeinde Hermeskeil als Kläger, die Gemeinde Nonnweiler als Beklagte und die Stockbesitzer als Intervenienten auftragen, und der zehn Jahre dauern sollte.

Am 18. Februar 1823 sprach das Königliche Landgericht in Trier ein vorläufiges Urteil, wonach die von den ehemaligen Stockbesitzern und ihren Nachkommen beigebrachten Urkunden nicht ausreichten als Beweis dafür, dass die strittigen Wald- und Ödländereien ein Zubehör ihrer früheren Stockgüter waren. Die Intervention wurde jedoch ausdrücklich weiter zugelassen unter der Bedingung, dass sie durch andere Urkunden und Zeugen erhärtet würde. Neue Beweisurkunden wurden beschafft. Zeugen aus Nonnweiler und Hermeskeil wurden als am Prozess unmittelbar beteiligt nicht zugelassen. Bürgermeister Gottbill wurde wegen seiner für die Stockbauern günstigen Berichte an höhere Verwaltungsstellen zunächst ebenfalls als Zeuge verworfen, später aber zugelassen. Auch der frühere Pfarrgeistliche von Nonnweiler, Wilhelm Torsch, wurde als Zeuge geladen. Gerichtsbuch und Grundbuch des Amtes Grimburg wurden durch den Friedensrichter in Hermeskeil ausfindig gemacht und als wichtige Beweisunterlage dem Landgericht übergeben .Die Zeugenaussagen schilderten Vorgänge im Ort Nonnweiler zwischen 1770 und 1820, die sich auf die damalige Waldnutzung und Lehnsabhängigkeit der Stockgüter bezogen. Erwähnt sei nur, dass nach Pfarrer Torschs Aussagen sogar seinem Vorgänger Hein um 1785 die Waldnutzung streitig gemacht wurde, weil er als Gemeindemann von den Stockbesitzern nicht anerkannt wurde. Erst eine Verordnung des Kurfürsten vom Jahre 1787 sicherte dem klagenden Pfarrherrn den gleichen Brennholzanteil wie den Stockbesitzern zu.

Am 22. Dezember 1823 fällte das Landgericht das abschließende Urteil. Die Intervention der Stockbauern und ihrer Nachkommen wurde als unbegründet verworfen, weil der durch Urteil vom 18. Februar 1823 auferlegte Beweis von den Intervenienten nicht erbracht worden war. Die vier Walddistrikte erklärte das Urteil als gemeinschaftliches Eigentum der Gemeinden Hermeskeil und Nonnweiler. Ihre Teilung im Verhältnis der Haushaltungen beider Gemeinden wurde zugleich angeordnet und die Prozesskosten den Intervenienten auferlegt. Damit hatten die Einspännigen ihr Ziel erreicht. Was nämlich für die vier Wald- und Wildlanddistrikte galt, war auch für die übrigen einst von den Stockbauern gemeinsam genutzten Waldungen und Ödlandflächen maßgebend. In den Freudenbecher fiel jedoch ein bitterer Tropfen. Von den 64 Hektar Wald der vier Grenzdistrikte einfielen vorher die Hälfte, nach der Teilung aber nur noch 12 Hektar auf die Gemeinde Nonnweiler. Auf 20 Hektar ertragreichen Waldbestandes musste zugunsten der Gemeinde Hermeskeil verzichtet werden. Die Abschätzung, Vermessung und Absteinung entsprechend der Aufteilung war bis 1826 durchgeführt. Dennoch gaben die Stockbauern das Rennen nicht auf. Ihre Berufungen wurden vom Königlichen Rheinischen Apellationshof in Köln im Jahre 1828 ebenso verworfen wie 1830 durch den Königlichen Revisions- und Kassationshof zu Berlin.

 

Man sollte glauben, dass nun für alle Bürger der Gemeinde die Rechtsgleichheit in der Nutzung des Gemeindewaldes eine logische Folgerung des Prozesses gewesen wäre. Doch man verharrte weiter in den alten Anschauungen und führte das sogenannte „Bürgernutzungsrecht“ ein. Danach gab man an alle selbständigen Haushaltsvorstände das Recht, gegen eine jährliche Taxe eine für alle gleichgroße und gleichwertige Brennholzmenge aus den Gemeindewaldungen zu beziehen. Das Recht erlosch mit dem Tode des Inhabers. Neugegründete Haushalte oder zugezogene Bürger mussten das Nutzungsrecht durch ein sogenanntes „Bürgereinkaufsgeld“ von 14 Talern erst erwerben, andernfalls mussten sie ihren Brennholzbezug zu Steigpreisen bezahlen. Die Zahl der Nutzungsanteile veränderte sich nicht. Nur durch den Tod, Verzicht oder Umzug des Inhabers wurden Anteile frei und konnten angekauft werden. Unter Umständen konnte ein junges Ehepaar bei Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen Jahrzehnte warten, bis ein Anteil frei wurde und gekauft werden konnte. Oft kam man überhaupt nicht zum Zuge. Bei dem schnellen Anwachsen der Einwohnerzahl im vorigen Jahrhundert wurde der Bestand der Nutzungsanteile zwar geringfügig erhöht, reichte aber bei weitem nicht aus, die Nachfrage zu befriedigen.

So blieb ein Rechtsunterschied zwischen den Gemeindebürgern bestehen, der seine tieferen Ursachen in dem geschilderten Streit der Stockbauern gegen die Einspännigen hatte. Erst 1920 bequemte sich der Gemeinderat, das Bürgernutzungsrecht als nicht mehr zeitgemäß abzuschaffen und endlich den Bürgern die gleichen Rechte zu geben.